SO WIE REDE UND GEGENREDE
Was fällt Ihnen zum Wort ”Zeichnen” ein?
Sprache, Ausdruck, Körpersprache, klare Formulierung, Ehrlichkeit.
Und wäre Malerei sodann das Gegenteil von alledem?
Nein. Aber wenn ich von der Ehrlichkeit der Zeichnung geprochen habe, so meine ich, es ist in der Malerei leichter etwas zu beschönigen. Man muss nicht so klar formulieren wie beim Zeichnen.
Was hat Sie veranlasst, in Ihrer Arbeit zum Zeichnen hinüberzuwechseln?
War Ihnen die Malerei zu fad geworden?
Ich habe früher nur gemalt und fast nicht gezeichnet. Ich hatte eigentlich Angst vorm Zeichnen. Nachdem ich dann doch vor zwei Jahren zu zeichnen begonnen habe, habe ich innerhalb kürzester Zeit gemerkt, dass ich in der Zeichnung eine mir entsprechendere, individuellere Ausdrucksform finden kann. In der Malerei habe ich immer gesucht und mich nicht gefunden. Jetzt möchte ich Malerei und Zeichnung vielleicht verbinden. Ich werde wieder anfangen zu malen, weil ich glaube, dass diese zwei Jahre ausschließliches Zeichnen, sich auf meine Malerei auswirken werden (und ich bin gespannt, was dabei herauskommt). Aber ich werde jedenfalls weiterhin zeichnen, weil ich glaube, dass ich durchs Zeichnen auf den Weg zu einer eigenen, mir eigentümlichen Bildsprache gekommen bin.
Entstehen Ihre Arbeiten spontan?
Sie entstehen spontan und im Idealfall auch schnell. Allerdings gibt es zwischen den einzelnen Zeichnungen lange Überlegungen und Reflexionen und ich beginne immer wieder Arbeiten von neuem. Ich nehme mir dann angefangene Zeichnungen wieder vor und versuche, Zeichen gegen das bereits Vorhandene zu setzen. Es entsteht dabei so etwas wie ein Selbstgespräch: Ich reagiere auf das, was ich gezeichnet, also behauptet habe, aus einem gewissen zeitlichen Abstand. Es ist wie beim gesprochenen Wort. Ich gehe auf etwas ein und widerlege mich unter Umständen selber. Das ist wie Rede und Gegenrede.
Welches Zeichenmaterial ist Ihnen dabei wichtig? Es sind ja nicht irgendwelche Bleistiftzeichnungen, bei denen es darum geht, irgend etwas zeichnend festzuhalten, sondern es sind grafisch reich nuancierte Angebote.
Etwas zeichnerisch festzuhalten im Sinne von Dokumentieren interessiert mich überhaupt nicht. Mich interessiert der Ausdruck. Es interessiert mich, was da aus mir kommt. Man merkt wohl meinen Zeichnungen an, dass ich von der Malerei herkomme. Es gibt Tonwerte und Farbtönungen, die mir zwar nicht vorrangig wichtig sind, aber sie entstehen einfach. Mein Ideal wäre die schwarze Linie, die aussagekräftige Form auf weißem Papier.
Das könnte vielleicht auch eine Bleistiftzeichnung sein?
Ja, aber der Bleistift ist mir zu spröde und seine Auftragungsfläche zu klein. Aus diesem Grund ist mir die Arbeit mit Pastellkreide lieber. Anfangs waren die Zeichnungen vergleichsweise kleiner. In den letzten zwei Jahren sind sie auf ein Format von zirka 70 x 100 cm angewachsen. In der nächsten Zeit werden die Formate noch größer werden, das ist mir wichtig. Wenn für mich die Notwendigkeit besteht, können die Formate natürlich wieder kleiner werden. Ich fühle mich nicht an ein bestimmtes Format gebunden.
Haben Sie, wenn Sie zu zeichnen beginnen, irgendwelche Vorstellungen wie Landschaft, Stillleben usw, im Kopf? Oder schließen Sie das von vornherein aus?
Ich habe als Landschaftsmaler begonnen und hatte immer solche Eindrücke vorausgesetzt, auch bei meinen ungegenständlichen Bildern. Wenn es jetzt beim Zeichnen überhaupt optische Eindrücke gibt, so sind es irgendwelche Zeichen an einer Wand. Und zwar Zeichen, die klar und fest sitzen, sodass sie mich an- oder aufregen; dass sie mich anregen, eine Mitteilung auf ein Blatt Papier zu setzen. Oder es sind, wie bei den in Saarbrücken entstandenen Arbeiten (als ich an der dortigen Sommerakademie unterrichtet habe) anregende Gespräche mit Kollegen, Malern und Musikern gewesen, die sich dann zu Zeichen und in Zeichnungen verfestigten. Auf diese Weise sind zum ersten Mal Bilder entstanden, die den Eindruck einer Bewegung vermitteln. Bei mir ist es aber nie so, dass ich einen Vorstellung in der Zeichnung umsetzen möchte. Ich kann Erlebtes wiedergeben und meist wird mir auch erst während der Arbeitsphase bewusst, dass ich Erlebtes umsetze und worum es sich dabei handelt. Und so ist mir auch klar geworden, dass ich sowohl die Musik, die um mich war, wie die Gespräche um mich herum in meine Arbeit einbezogen habe.
Können Sie sich vorstellen, dass sie bei einer Diskussion, bei einem Gespräch zeichnen um das gerade Gehörte und Erlebte künstlerisch umzusetzen?
Grundsätzlich schon. Bisher habe ich das jedenfalls im nachhinein gemacht. Zuerst eher unbewusst, bis mir dann klar geworden ist, dass ich eben solche Erlebnisse in der Zeichnung verarbeite. Wenn ich so etwas bewusst, also mit Absicht machen wollte, so funktioniert das gewiss nicht.
Es geht Ihnen dabei um Gesprächssituationen Diskussionen, Rede und Gegenrede, nicht aber um irgendwelche Wahrheiten, die dabei gefunden werden könnten?
Es geht mir um Gesprächssituationen, Diskussionen, Dialoge.
Wenn nun diese Arbeiten aus der Erinnerung an einen Dialog, eine Diskussion entstehen, wie ist es dann, wenn Sie sich so ein Blatt nach Tagen oder Wochen wieder vornehmen und überarbeiten? Steigen Sie dann in diese Gesprächssituation wieder ein und überarbeiten es von diesem Standpunkt her oder ist es sozusagen schon soweit Bild geworden, dass Sie als Zeichnerin auf eine gegebene Bildsituation reagieren?
Irgendwann betrachte ich die Zeichnung als Bild und reagiere beim Weiterverarbeiten dementsprechend.
Zeichnen ist für Sie ein ernstes Geschäft?
Eigentlich ist für mich alles ein ernstes Geschäft. Auch Malen. Und Leben überhaupt.
Wenn sie nun diese Arbeiten ausstellen, so tun Sie das wohl auch in einer bestimmten Erwartung. Was haben Sie dabei im Sinn?
Ich sehe das ganz nüchtern. Ausstellen gehört eben zu meinem Beruf. Es ist wichtig, weil ich so meine Bilder außerhalb meines Ateliers und der Arbeitssituation sehen kann. Und weil ich sie damit zur Diskussion stelle, können sie wiederum Anlass zu Gesprächen und Dialogen sein. Und es ist mir wichtig, dass ich mit Leuten ernsthaft über meine Arbeit sprechen kann.
Wenn Sie sich mit Ihren Zeichnungen in den Händen so auf Ihrem Lebensweg und Werkweg umschauen, wie sehen Sie sich da dastehen?
Ich fühle mich mit meinen Zeichnungen wohler als mit der Malerei, die ich vorher gemacht habe, weil ich einige persönliche, individuelle Zeichen in diesen Arbeiten entdecke, die aus mir kommen. Und das sehe ich als einen wichtigen Schritt in meiner Arbeit. Beim Zeichnen fühle ich mich wohl. Freilich fühle ich mich nicht immer mit den Ergebnissen wohl.
Und was macht man dann mit diesen Unwohlgefühlen?
Das ist sehr verschieden. Manches Mal sind die Bilder, die mir am meisten Sorgen machen im nachhinein betrachtet die besten, weil sie eben auf Grund der Schwierigkeiten, die ich bei der Arbeit hatte, eine Kraft in sich haben, die andere Zeichnungen, die mir ganz flott und locker von der Hand gehen, nicht haben.
Aber das stellt man meistens erst später fest. Ich lasse alles einmal liegen, schau es mir dann wieder an, arbeite auch daran weiter und werfe auch viel weg.
Und wie wird eine Zeichnung ausschauen, die dann womöglich von diesem Gepräch ausgeht?
Sehr schwarz oder sehr sparsam?
Gepräche, die mich zum Zeichnen anregen sind solche bei denen es ”hoch hergeht“ – Diskussionen, gleich welchen Inhalts, wo die Funken sprühen. Als ich die Saarbrücker Zeichnungen das erste Mal ausgestellt habe, habe ich Betrachter gefragt, was sie in diesen Zeichnungen sehen. Und Sie haben gesagt, Sie sehen Bewegung, Musik, Auseindersetzung. Also scheinen es einige Leute instinktiv zu empfinden, wovon ich ausgehe, obwohl es mir nicht darauf ankommt, dass der Betrachter konkret erkennt, was ich dabei empfunden habe. Ich freue mich, wenn der Betrachter seine eigenen Interpretationen findet.
Dieses Gespräch fand am 29. Mai 1990 in Salzburg statt. Otto Breicha war zu dieser Zeit Direktor des Rupertinum in Salzburg.