M. E. PRIGGE
Das Erfahrene und das Erschaute im Bild dingfest zu machen und durch die Befestigung das Chaos von Erfahrenem und Erschautem zu überwinden – daran und darum arbeitet Maria Prigge. Da das, was ihr zum Bildanstoß wird, niemals einfach, klar, harmonisch ist, vielmehr das Schwierige, Ungeglättete und Dissonante sie herausfordert, ist die Bändigung in einer formalen Bildordnung immer schwierig. Es ist ihr tröstlich, dass es selbst einem Künstler wie Paul Klee zu Zeiten nicht leicht fiel, die Erfahrung vor der Natur und die Forderungen der Leinwand im Atelier zu verbinden. Immer wieder leistet in Marias Bildern das Figurative, Zeichen konkreter Bezugsnahme, dem breiten, abstrakten raumschaffenden Gestus permanenten Widerstand.
Als Maria, spät, zu malen begann, wies sie Hermann Ober, der Salzburger Maler und Lehrer vieler, auf die Landschaft. Schon in den ersten Aquarellen suchte sie Vereinfachung, Flächigkeit, Kontraste und – irgendwo im Bild – einen Widerstand gegen die unverbindliche Flüssigkeit der Farbe. Ein zur Chiffre gewordenes Tor, ein Zaun, die Zeichen einer Plakatwand konnten das sein. Die Gestaltungselemente kamen ganz aus dem Erschauten.
Aus dem Erschauten und dem Anfassbaren. Strukturen wurden wesentlich. Zwei Entwicklungen laufen hier paralell. Die Arbeit an der Radierung und die Erfahrung in der Provence.
Mit der Radierung hatte Maria auf Anregung von Yoshi Takahashi begonnen. Sie baute eine Werkstatt auf, in der sie jahrelang mit vielen Salzburger Künstlern arbeitete, Auflagen druckte und zugleich den eigenen Weg verfolgte. Die technischen Möglichkeiten forderten sie schnell zum Experiment mit Collage, Prägung und verschiedenen tiefen Ätzverfahren heraus. Die Bildkomposition, das Bildrelief, entstand aus der Faszination der Strukturen. Für Maria ein Experiment, das sie beiseite legte, als sie seine Möglichkeiten (und die Gefahren seiner Wiederholung) erkannte.
Das Erlebnis Provence: zwar waren Marias erste Landschaftsbilder in Salzburg entstanden, doch eben nur als Übungen ohne tiefere Bedeutung. Diese Landschaft konnte ihr Anregungen für formale Versuche geben, doch sie rührte sie nicht bildhaft an. „Vor den Bergen fürchte ich mich. Und im Tal ist es kalt und dunkel“. Hell und warm war es dann in der Provence, im Sommer 1982, in einer Landschaft, in der sie sich sofort beheimatet fühlte, wie dort geboren und nach Hause zurückgekehrt. Dort fand sie für ihre Bilder, was sie immer gesehen, aber nicht erfasst hatte, die Abseite der schönen Landschaft, das Heruntergekommene, die Zivilisationswunden, Gerümpel und Abfall. Mit Kistenbrettern vernagelte Türen gaben den Anlass für ein Bild wie ”Provence” (1982). In den Arbeiten dieser Zeit entstehen aus einer offenen, spontanen, breiten Malerei, kontrastierenden, kleinteiligen Zeichen und der Suche nach einem rahmenbezogenen Ordnungsprinzip von Horizontalen und Vertikalen Bilder von einem prekären Gleichgewicht, ähnlich wohl jenem, in dem sich auch die Künstlerin in diesem ersten Augenblick einer eigenen Bilderwelt befand.
Dass in diesen Bildern sehr wohl Parallelen zur Malerei der fünfziger Jahre bestanden, erkannte sie später, auch ihre besondere Affinität zu einigen dieser Künstler des abstrakten Expressionismus, besonders zu De Kooning. Wie er würde sie bald aus dem Gleichgewicht der ersten Bilder ausbrechen und eine dynamischere, gestische Farbsprache entwickeln. Und auch sie dann wieder in Ordnungskoordinaten einzubinden versuchen. Davon spricht sie auch heute immer: Sie möchte ganz stille, dunkle Bilder malen, aber unmöglich – was herausstürzt, ist der innere Tumult.
Die stärksten Bilder erhalten immer wieder ihren Anstoß von außen. Ihre Energie lädt sich an dem ungelösten Widerspruch von Realität und Abstraktionswille auf. So in den Uniform-Bildern. Eine ordensgeschmückte Brust hatte in Maria Widerspruch und Aggression ausgelöst. Der Versuch, die Erfahrung durch Abstraktion zu überwinden, gelang auch in mehrmaligen Ansätzen nicht. Es blieb mit der bunt, wild und großformatig gemalten Uniform auch Zwiespalt und Intensität der Erfahrung im Bild. Ähnlich in der ”Lederhose” (1983), aus der Zeit der Rauriser Malertage. Die prallgefüllte Gewandung, auch sie eine Art Uniform und ebenfalls deutlicher Hinweis auf männliches Rollenspiel, beantwortete Maria mit ähnlich kraftprotzender, knalliger Malerei, die den Gegenstand durch die nur teilweise Abstraktion umso aggressiver hervortreten lässt.
Gegenstand, Struktur und Komposition sind bis zu diesem Punkt immer eindeutig auf flächige Zusammenhänge bezogen. In ihnen sucht Maria den Ausgleich, eine gewisse Bindung und Sicherheit. Um diese Sicherheit wieder aufzubrechen, ein neues Wechselspiel der Kräfte zu erproben, kehrt Maria noch einmal zur Radierung zurück, versucht, dramatische grafische Zeichen in einen offenen Bildraum zu setzen, drängt sie doch wieder mit farbigen Bildhintergründen in die Fläche, beginnt dann malerische Schreibübungen, wie sie auch die Abstrakten Expressionisten betrieben haben. Sie ist auf dem Weg zur Linie als zentralem Widerstand im Bild. Persönliche Erfahrung, menschliche Konstellationen geraten wieder ins Spiel, dazu ein neues Medium, das Maria, wie immer spielerisch, für sich entdeckt: das spontane Malen mit Ölkreiden. Und plötzlich stehen sich Figurenpaare im Bildraum gegenüber – ein neuer Dialog beginnt. Nächstes Experiment aus der nie ermüdenden Lust am Material und der vorgefundenen Struktur: Marias ”Totems”. Rohe Bretter erregten ihre Aufmerksamkeit während des Umzugs, besonders schön unregelmäßige wurden zusätzlich im Sägewerk gefunden. Die Bretter wurden mit bunten Ornamenten bemalt, zufällige Formen ausgenutzt, später auch mit dem Meißel grobe, an Volkskunst und Expressionismus erinnernde Akzente gesetzt. Muss noch darauf hingewiesen werden, dass zu allen Zeiten in vielen primitiven Kulturen solche Stelen kultische Funktion hatten, der Abwendung böser Geister und der Anrufung der guten dienten? Dass das Ornament ein Ordnungsprinzip – im formalen und geistigen Sinn – darstellt, durch das das Individuelle, auch Chaotische, in gleichmäßigere Bahnen gelenkt wird? Vielleicht ein Hinweis auf die tiefere Bedeutung dieser Zeichen an Marias Weg.
Ein Weg, der noch so offen ist wie ihre neuen Bilder. Bilder, die an die Wand gehängt werden mitten im Dialog, Momentaufnahmen einer dramatischen Auseinandersetzung der ungezügelten, auf die ganze Fläche drängenden Farbigkeit mit den Widerständen roher linearer Zeichen, Gegenbewegungen und Abgrenzungen. Nein, es sind noch keine neuen Bildordnungen entstanden, keine Lösungen von Fragen ästhetischer oder persönlicher Art angeboten, aber viele Möglichkeiten, den Dialog auszutragen. In jedem dieser Bilder kann er jeden Augenblick wieder aufgenommen werden.
Ina Stegen schrieb diesen Text 1985 für den Katalog zur Ausstellung ”Maislinger, Prigge, Winter” in der Stadtgalerie Saarbrücken.