“GEORDNETE GESTE“

M. E. Prigge in der Grafischen Werkstatt im Traklhaus

Wie kaum eine andere Künstlerin hat M. E. Prigge die Formen der Druckgrafik in ihre Arbeit einfließen lassen. Wie kaum eine andere hat sie deren Regeln, Zufällig- und Gesetzmäßigkeiten, sowie deren Effekt für ihre Malerei, Zeichnungen und Installationen funktionalisiert.

Das Beherrschen der zahlreichen Spielarten der Druckgraphik, die Gewichtung auf dem technisch Machbaren gilt in vielen Kreisen als Garant für ein hochwertiges Blatt. „Technisch perfekt“ wird hier zum Synonym für Kunst. Die Kraft der persönlichen Aussage wird den verschiedenen Filterprozessen der Technik geopfert, jeder Aufwand rechtfertigt sich durch sich selbst. Die Technik beginnt in reinem Selbstzweck zu agieren. Handschrift und Gestus, Ausdruck und Aussage treten oftmals in den Hintergrund, das „Machbare“ dominiert das Blatt. Gedruckte Grafiken fungieren als Verweis auf ein Werk, eine Haltung; die An- oder Abwesenheit von Information beherrscht das Betrachtungsritual.
Der schöne Schein der gedruckten Oberfläche kann blenden, nur mit gehörigem technischen Aufwand kann einer „Entsinnlichung“ des Artefakts entgegengewirkt werden. Aus ökonomischer Sicht lässt sich dieser Aufwand nur durch eine hohe Auflage rechtfertigen oder auffangen.

Als sich M. E. Prigge 1995 entscheidet in der Grafischen Werkstatt zu arbeiten, steht bereits ein enormes Oevre an druckgrafischen Werken hinter ihr. Sämtliche Spielarten des Hoch- und Tiefdruckes nennt sie ihr Eigen. Sie arbeitet konsequent seriell, immer mit Bedacht „tiefere“ oder — auch in der Farbgrafik — „schwärzere“ Ergebnisse zu erzielen. Die teilweise experimentell erzielten Blätter verbleiben oft als Unikat — die Künstlerin druckt keine, oder nur eine sehr kleine Auflage davon.
Mit dem Besuch in der Werkstatt verbindet sie den Wunsch sich eine neue Technik einzuverleiben, ihre Formensprache mit einer zeichnerischen und zugleich malerischen Technik der Druckgrafik zusammentreffen zu lassen. Prigge möchte lithografieren.

Mit einem kleinen und technisch gleich äußerst komplizierten Blatt nimmt sie die Arbeit auf. Zögerlich zuerst, dann immer konzentrierter, packt sie ihr Vokabular aus und entwickelt eine lose Serie von Steindrucken. Sowohl die fertigen Blätter wie Prigges Vorgehensweise lassen einen tiefen Einblick in Denk- und Handlungsweise der Künstlerin nehmen.
Von anfänglich komplexen und üppigen zweifärbigen Arbeiten begibt sie sich auf eine knapp dreijährige Reise der abenteuerlichen Abstraktion ihres eigenen Formenschatzes. Das Format wird größer, die Zeichen bzw. die zeichnerischen Interventionen spärlicher und die Aussagen damit zwar persönlicher, zugleich jedoch allgemeiner und existentieller. Genau und im Nachhinein betrachtet wirkt diese relative kleine Serie von verschiedenformatigen Lithografien geradezu modellhaft für Prigges gesamte Arbeit: in allen Techniken genießt es die Künstlerin mit dem Material und seinen jeweiligen Widerständen zu spielen. Kratzen, Schleifen, Ätzen, Schneiden, Schaben und Sticheln sind für sie sinnliche Betätigungen, welche die Künstlerin ebenso kontemplativ aufnimmt, wie sie die teilweise mühevollen handwerklichen Schritte lustvoll erträgt, die sie damit heraufbeschwört. Zufälligkeiten, Experiment und die Metamorphosen der Oberflächenstrukturen dienen ihr als willkommene Bereicherungen, die sie ihrem Vokabular sofort und signifikant einverleibt.

Von einer üppigen, wild kommunizierenden Zeichenschar ausgehend, nimmt sie diese in den folgenden Blättern zunehmend zurück, stellt einzelne Charaktere als Protagonisten vor, lässt ihnen und sich beim Denken zuschauen, reduziert und vereinfacht. Die Arbeit wird dadurch nicht leichter, im Gegenteil: Prigge muss immer präziser werden um ihrem Anspruch gerecht zu werden.
Deutlich wird nun ihr akribisch — beinahe analytisches Streben nach der richtigen Form und deren Beherrschung: was zunächst gestisch beginnt, wird kontrolliert und in vielen Serien von Probedrucken überarbeitet und korrigiert.
Ätzen, schleifen, zwischenätzen, auswaschen, andrucken.
Die Kontrolle über die Zeichen ist der Künstlerin entscheidend: Biegung, Beugung, Streckung und Auslaufen einer Linie (fransig, kantig, doppelzüngig …) werden immer wieder korrigiert, dabei aufgeladen (schreckhaft, aggressiv, bedrohlich, gütig …). Bis zum letzten Andruck ringt sie um die einzig mögliche Position im Koordinatennetz des Bildgrundes.
Auswaschen, probedrucken, auswaschen, regenerieren, verwerfen. Farbe wechseln. Andrucken, korrigieren: ein neuer Weg tut sich auf. Erst jetzt kann sich Gestus mit Inhalt — ja Geschichte — vereinen und nun ziehen sie am gleichen Strang.
Wichtig ist der Künstlerin auch: die Überwindung der vermeintlichen technischen Grenzen. Je direkter der Drucker sagt: „Das geht nicht!“, desto dringlicher der Wunsch und die Freude es gelingen zu lassen.
Als perfekte Druckgrafikerin und als Autodidaktin weiß sie, dass mit dem nötigen Aufwand alles geht.

Gleichwohl deutlich spürbar während der Momente ihres Ringens: die anhaltende Freude am Entstehungsprozess, seiner Sinnlichkeit, Alchemie und seiner Metamorphosen: lustvoll greift Prigge in die Kreidekisten, noch größer, noch fetter sollen sie sein. Mehr Farbe möchte sie, tieferes Schwarz, das Schwarz wärmer — nein doch kälter — mehr Körper! Die Inkrustationen der physischen Arbeit nimmt sie wohlwollend auf und gibt ihnen einen Platz in ihrem Lexikon.

Die Grafische Werkstatt dient als offenes Atelier vielen KünstlerInnen zugleich. Zahlreiche Pressen und Resourcen für die unterschiedlichsten Techniken stehen, wenn nötig, vierundzwanzig Stunden am Tag zur Verfügung. Bis zu zehn KünstlerInnen können zugleich tätig sein. M. E. Prigge hat diese Anmutung von Kollektiv zwar als Idee immer begrüßt und unterstützt — für sich selbst jedoch misstraut sie ihr.
Und so atmet sie beinahe hörbar auf, als sie die lithografische Serie zu einem sichtbaren Endpunkt gebracht hat: der größte Stein der Werkstatt ist mit dem bis dahin kürzesten Kürzel zum Erzählen gebracht worden.
M. E. Prigge verlässt das offene Atelier und zieht sich wieder in ihre eigene Werkstatt und von da aus immer öfter in die Natur zurück.

Von Prigges Aufenthalt bleibt viel. Wenn die Serie auch klein und auf den ersten Blick nicht sehr spektakulär erscheint, so ist sie geradezu paradigmatisch: Vom kleinen Vielgestaltigen zum großen Einzelnen — Arbeit und Produkt, Oberfläche und Inhalt, Gestus und Kontrolle erweisen sich als doppelzüngige Paare einer lustvoll intensiven und erschöpfenden Gestaltung von existentiellen Aussagen.

Martin Gredler ist Künstler und Leiter der Graphischen Werkstatt im Traklhaus in Salzburg. Er schrieb diesen Text 2010 für das Buch M. E. Prigge, „Die hinterlassenen Werke/ Druckgrafik“.